Trauerrede

Psalm 104
Lobe den Herrn, meine Seele!
Herr, mein Gott, du bist sehr herrlich;
du bist schön und prächtig geschmückt.
Licht ist dein Kleid, das du anhast.
Du breitest den Himmel aus wie einen Teppich;
der du das Erdreich gegründet hast auf festen Boden,
dass es bleibt immer und ewiglich.
Du feuchtest die Berge von oben her,
du machst das Land voll Früchte, die du schaffest.
Du lässest Gras wachsen für das Vieh
und Saat zu Nutz den Menschen,
dass du Brot aus der Erde hervorbringst,
dass der Wein erfreue des Menschen Herz
und sein Antlitz schön werde vom Öl
und das Brot des Menschen Herz stärke.
Herr, wie sind deine Werke so groß und viel!
Du hast sie alle weise geordnet,
und die Erde ist voll deiner Güter.

Es warten alle auf dich,
dass du ihnen Speise gebest zur rechten Zeit.
Wenn du ihnen gibst, so sammeln sie;
wenn du deine Hand auftust, so werden sie mit Gutem gesättigt.
Verbirgst du dein Angesicht, so erschrecken sie;
nimmst du weg ihren Odem, so vergehen sie und werden wieder Staub.
Du sendest aus deinen Odem, so werden sie geschaffen,
und du machst neu die Gestalt der Erde.
Die Herrlichkeit des Herrn bleibe ewiglich,
der Herr freue sich seiner Werke!
Lobe den Herrn, meine Seele! Halleluja!

Liebe Familie, liebe Freunde und Bekannte,
beim Abschied von Gerhard sollen uns Verse aus dem Psalm, den wir eben gehört haben, begleiten:

Herr, wie sind deine Werke so groß und viel!
Du hast sie alle weise geordnet,
und die Erde ist voll deiner Güter.
Lobe den Herren, meine Seele.

Liebe Trauergemeinde,

Gerhards Leben war dem Schöpfungslob aus dem Psalm sehr nahe. Für ihn war alles was lebte heilig, er war gerne in der Natur, er schuf gerne gute und beständige Dinge. Und er war sich seiner Sterblichkeit als Geschöpf bewusst: Er war zuversichtlich, das er als Gottes Geschöpf bei Gott ein Zuhause auch nach dem Tod findet.

So ist es ein trauriger Tag. Aber auch ein Tag, an dem wir Gott danken und ihn loben können. Er hat Gerhard seine Lebenszeit geschenkt. Ein Leben, dass viel Gutes hinterlassen hat, bei ihnen, die sie heute Mittag hier sind.

Lasst uns dankbar auf das Leben von Gerhard zurückschauen.

Er wurde 1938 in Aussig im Sudetenland geboren. Bis zu seinem sechsten Lebensjahr durfte er dort eine schöne Kindheit verbringen. Mit seinen Eltern, die mit über 40 Jahren schon sehr alt waren, als sie ihn bekamen und mit seinen Bruder Gerfried, der leider schon lange verstorben ist.
Seine Mutter schrieb in ihr Tagebuch „Der Gertl liebt die Blumen und die Tiere über alles.“

Die Idylle endet, als sie alle 1945 vertrieben wurden. Viele schlimme Bilder haben sich auf der Flucht in ihn eingebrannt. Viel drüber geredet hat er nicht. So wie die meisten seiner Generation. Aber die Erinnerung, wie schön es war, dass er an seinem siebten Geburtstag mal auf dem Leiterwagen mitfahren durfte, spricht Bände. Die Familie musste damals alles zurücklassen. Das hat Gerhard geprägt. Er konnte schwer Dinge wegwerfen. Und er hatte alles, z.B. jedes Werkzeug, das man brauchen konnte. Als wollte er vorsorgen für eine schlimme Zeit.

Die Familie landet erst in Kühlungsborn, obwohl sie zu Verwandten nach Frankfurt wollten. Seine Eltern haben dort in einem Kinderheim gearbeitet. Danach ging es nach Erfurt. Dort wurde Gerhard konfirmiert. Kurz vor dem Mauerbau schaffte die Mutter es durch ein geschicktes Manöver, die Familie aus der DDR zu schaffen. Nun kamen sie endlich nach Frankfurt. Und zwar nach Enkheim zu Gerhards Patenonkel Rudi. Für Gerhard war diese weitere Flucht keine Befreiung. Wieder einmal musste er alles zurücklassen, seine Freunde und auch seine erste Liebe. Erst auf dem Bahnsteig offenbarten seine Eltern ihm, dass er nie wieder zurückkommen würde. Seine Freunde von damals hat er später immer wieder gerne in Erfurt besucht.

In Frankfurt macht er die Schule fertig und vor dem Studium macht er sich auf dem Fahrrad auf nach Venedig gegen den Willen seiner Eltern. Doch nicht allein. Mit 17 Jahren ist er schon mit Inge zusammengekommen. Kennengelernt hatte er sie in der Gemeindejugend beim Kirchenchor und Theaterspielen. Die beiden waren ein schönes Paar: Ich habe ein Foto von ihnen von damals gesehen. Sie sitzen fröhlich vor ihrem kleinen Zelt. Auch mit dem Faltboot waren die beiden gerne unterwegs.

Gerhard studiert, wird technischer Bauzeichner und dann Tiefbau-Ingenieur. Inges Mutter war da sehr hinterher, dass er dabeiblieb.

Auch als Ehepaar blieben Gerhard und Inge dem Camping und Fahrradfahren zugewandt. Am Kahler See campten sie, lange bevor es dort einen richtigen Campingplatz gab. Als es dann später zu der offiziellen Platzübergabe durch die Gemeinde kam, hat er sogar vor dem Gemeindeamt übernachtet, um auch ja am nächsten Morgen den Platz zu bekommen, wo sie sich schon häuslich eingerichtet hatten.
Dieser Platz war Gerhards ein- und alles.
Jetzt hat ihn seine Tochter übernommen. Das war Gerhard sehr wichtig.

Die Kinder kamen für damalige Verhältnisse spät, da war er schon 30 Jahre als Kai und 34 Jahre alt, als Tanja geboren wurde.

Beide arbeiteten, Inge als Industriekauffrau und Gerhard bei der Bahn. Gerhard war zuständig für den Gleisbau am Hauptbahnhof und hat auch beim Bau der S-Bahn-Tunnel mitgearbeitet. Wenn die Familie mit der Bahn aus Frankfurt herausfuhr, dann sagte er: Hört ihr die Gleise? Er war stolz darauf, dass diese besser gemacht waren, als die jenseits seines Baubezirks. Als stv. Dienstellenleiter und Baubezirksleiter war er auch zuständig für Notfälle, also Unfälle an der Strecke.

Auch hier zeigte sich seine Tierliebe, wenn es etwa um verunglückte Tiere ging, bemühte er sich die Halter der Tiere zu ermitteln und über den Verlust des Tieres zu informieren.

Die Kinder haben ihre Eltern als sehr entspannt erlebt. Sie hatten eine Elternzeitschrift abonniert und probierten auch gerne moderne Erziehungsmethoden aus.

Tiere waren ihm immer wichtig, ob es der Hund Struppi war oder am Ende die Katze Bagira, die er von den Nachbarn übernommen hatte. Und so wurden auch alle toten Tiere, die er oder seine Kinder fanden im Garten beerdigt.

Gewohnt hat die Familie lange in einem drei Familienhaus in der Birsteinerstr. Da war die Schwiegermutter auch mit dabei. Später sind sie dann umgezogen, in das Haus in dem er bis zuletzt- und zum Schluss allein gewohnt hat.

Sehr in Atem gehalten hat die Familie, die vielen Krankheiten von Inge, die dann Gerhard manchmal im Anschluss auch bekam. Ungewöhnlich und doch erklärlich durch die große Nähe zwischen den beiden, die bis zum Tod von Inge blieb und darüber hinaus. Er sorgte sich um und für Inge. So traf ich ihn im Gottesdienst in der Strickjacke seiner Frau. Auch über andere Dinge im Haus hielt er Kontakt zu ihr. Ihr Tod in 2017 war ein schlimmer Verlust für ihn, über den er nie hinweggekommen ist.

Gerne war die beiden miteinander unterwegs, ob beim Wandern, etwa mit den Laubustaler Wanderfreunden oder im Urlaub in Österreich.

Gerhard war ein begeisterter Griller. Früher gab es kein Gemeinde- oder Straßenfest ohne ihn am Grill als Garant für höchste Qualität und beste Vorbereitung. So hatte er nicht nur jeden Grill, den man bekommen konnte – eine richtige Grillsammlung. Sondern auch alles, was er für seinen Grillstand auf den Straßenfesten brauchte. Vom Pavillon bis zur Fritteuse.

Aber nicht nur am Grill trat er in unserer Kirchengemeinde in Erscheinung. Er war lange im Kirchenvorstand, war immer ansprechbar, wenn Hilfe gebraucht wurde. Oft hat er noch im hohen Alter den Küsterdienst in der Glaubenskirche übernommen. Oft war er im Gottesdienst. Und wir zwei saßen als letzte zusammen im Bibelgesprächskreis. Den wir dann vor drei Jahren gemeinsam schlossen, weil sonst niemand mehr kam.

Gerhard war ein Handwerker. Er konnte alles ein bisschen, ob es ums Auto oder etwas am Haus ging.

Die Jahre nach dem Tod von Inge waren schwer für ihn. Er war einsam, konnte Hilfe v.a. von seinen Kindern, aber doch nicht richtig annehmen. Sehr wichtig wurden für ihn die Nachbarn, ob es die Familie Kloster war oder Waltraud Becker. Seine Kinder hatten ihm in ihrem Haus eine eigene Wohnung eingerichtet. Aber dort wollte er nicht hin. Zuletzt wurde es für Kinder schwer dabei noch zuzusehen. Eine fortschreitende Demenz ließ sie immer wieder in Sorge um ihren Vater zurück.

So ist er im letzten Jahr gestürzt und kam ins Krankenhaus. Und als sie nun dachten jetzt geht es wirklich nicht mehr für ihn allein, da ist er gestorben. Ein schneller Tod. In seinem Haus. So wie er es sich wohl gewünscht hat.

Herr, wie sind deine Werke so groß und viel!
Du hast sie alle weise geordnet,
und die Erde ist voll deiner Güter.
Lobe den Herren, meine Seele.

Ich glaube, Gerhard hätte in diese Worte für den Rückblick auf sein Leben gut einstimmen können. Gerhard war ein gläubiger Mensch. Es tat ihm weh, dass es im Fechenheimer Norden kaum noch jemanden gab, der sich für die Kirche interessierte. Und er hatte ein tiefe innere Glaubensgewißheit. Seine Frau hatte bei einer schweren Operation eine Nahtoderfahrung. Sie konnte davon in großer Ruhe und Zuversicht berichten. „Es ist schön dort“, sagte sie. Diese Zuversicht teilte Gerhard. Der Tod war für ihn kein Schrecken.

So lasst uns auch nicht erschrecken vor seinem Tod. Last ihn uns als einen Heimgang betrachten, zu seinem geliebten und gelobten Gott und zu seiner geliebten Frau Inge.

Amen.

Pfarrer Arne Zick im Februar 2023